Gesellschaft

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Die irakische Gesellschaft ist in Bewegung – zum Teil in sehr unterschiedliche Richtungen. Wie gut und wie lange das gemeinsame Band dies aushält, ist eine Bewährungsprobe für die Zukunft.

Alphabetisierte Erwachsene 86% (geschätzt, Weltbank 2017)

Religionen Islam: 97%, Christentum <2 %

Städtische Bevölkerung 69,9 % (BTI-Bericht 2018)

Lebenserwartung (w/m) 70,5 (UNDP 2018)

Gender Inequality Index (HDR) Rang 131 von 162 (2018)

Anzahl der Geburten 3,67 pro Frau (Weltbank 2018)

Kindersterblichkeit 30,4/ 1000 Lebendgeburten (UNICEF 2017)

Gesellschaftlicher Überblick

Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der mangelnden Sicherheit hat der Irak hat eine sehr junge und wachsende Bevölkerung. Laut der Statistiksammlung von Statistica zur Altersstruktur sind 58,7% der Iraker jünger als 24. Gut ein Drittel der Bevölkerung ist zwischen 24 und 54. Steigende Geburtenraten, der Rückgang der Kindersterblichkeit, sowie proportional niedrige Sterblichkeitsrate stellen das strukturell stark geschwächte Versorgungssystem vor kaum bewältigbare Herausforderungen.

Die Frage der ethno-konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist laut der International Crisis Group eine sensible und höchst problematische Frage. Laut ICG waren die   letzten Volkszählungen im Lande manipulativ, weil sie bspw. nur «Araber» und «Kurde» als Auswahlmöglichkeit vorgaben. So wurden kleinere Gruppierungen der Bevölkerung  statistisch  marginalisiert. Die nach 2003 angestellten Schätzung basieren z.T. auf Daten der Besatzer. Laut dieser Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks auf in etwa 75-80% Araber und 15-20% Kurden. Zu den Minderheiten im Land gehören Assyrer, Armenier und Mandäer, Turkmenen. Alle Minderheiten zusammen machen noch etwa 5% an der Gesamtbevölkerung aus – Tendenz fallend. Aktuell stehen die Religionsgemeinschaften der Christen und Jesiden unter hohem Verfolgungsdruck durch IS-Terroristen. Einen aktuellen und detaillierten Bericht zur Lage der Minderheiten im Irak liefert das britische Innenministerium.

Doch nicht nur zahlenmäßige Minderheiten sind in den letzten Jahren marginalisiert und erfahren bedrohliche und gewaltvolle Umsiedlung. Der sogenannte Islamische Staat hatte Andersdenkende und Andersgläubige verfolgt. Der Kampf gegen den IS verdrängte die Terrororganisation wieder in den Untergrund, doch er er hinterließ  eine Landschaft voller IDP-Camps, deren planlose und z.T. gewaltvolle Auflösung zu erneuten Unrechtmäßigkeiten und Ungerechtigkeiten führen, so HRW. «Wer darf wann wohin?» scheint dabei nicht nur ein Streitthema zwischen Bagdad und Erbil zu sein.

Sprachen

Offiziell sind Arabisch und Kurdisch die Amtssprachen. Mündlich ist der arabisch-irakische Dialekt vorherrschend. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehrere kurdische Dialekte, die sich seit Jahrzehnten auch schriftlich etablieren. Älter als die arabische Sprache im Irak ist das Aramäische, das sich in kleinen Sprachinseln bis heute im Norden und Nordwesten des Landes hält. Einige Ältere, zumeist Assyrer und Chaldäer, sprechen noch Dialekte des Neo-Aramäischen. Auch das Persische, was sich während zweier äußerst verschiedener Kulturepochen im Irak entwickelte, ist in Resten   noch im Südosten des Iraks zu finden. Es bildet vor allem ein reichhaltiges Lehnwort-Vokabular für Arabisch und, weitaus stärker noch, für das Sorani-Kurdisch.

Eine Übersicht aller Sprachen und Dialekte liefert diese Studie der British School of Archaelogy in Iraq.

Etwa 15-20% der Bevölkerung sprechen einen kurdischen Dialekt. Dabei gibt es drei Varianten des Kurdischen: Badhini, Sorani und Gurani. Laut Artikel 4 der Verfassung sind die offiziellen Amtssprachen des Irak Arabisch und Kurdisch. Alle anderen Sprachen werden auch dort amtlich anerkannt, wo die betreffende Sprachgruppe die Bevölkerungsmehrheit bildet.

Gesellschaftliche Struktur

Die Gesellschaft heute wird vor allem von den wirtschaftlichen Herausforderungen und der politischen Realität geprägt. Nicht nur die Gesamtwirtschaft bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die Vereinten Nationen berücksichtigen im Human Capital Index Daten  zu Lebenserwartung, Gesundheit, Bildung. Sie errechnen die Chancen, welche ein Neugeborenes zum Zeitpunkt der Messung hat, und setzen sie im Vergleich zum theoretischen Potenzial bei bester Förderung. Für den Irak prognostiziert der Index, dass ein heute Neugeborenes nur 40% seines Potenzials ausschöpfen kann. Der Irak liegt bei der Statistik von Okt 2018 sogar hinter dem wirtschaftlich deprivierten und bildungsschwachen Ägypten (49%). Im internationalen Vergleich liegt Irak auf Rang 129 von 157.

Unter dem Einfluss von Kriegen, konfessionellen Konflikten und Verteilungskämpfen in einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise spielen für Teile der irakischen Gesellschaft tribale Strukturen wieder eine zunehmende Rolle. Sie haben zum Teil Gliederungs-, Machtsicherungs-, Verteilungs- und Prozessfunktionen inne. Trotz einiger Traditionen wie Blutfehden, dem Ehrbegriff und dem Umgang mit Frauen, spielen die tribalen Strukturen in der Konflikbewältigung und Stabilisierung eine große Rolle.

Was der Staat nicht schafft, müsse die Zivilgesellschaft im Irak kompensieren, so der Tenor vieler irakischer NROs, über welche die International Crisis Group berichtet.

Gesundheit

Das irakische Gesundheitssystem gehörte bis zum Anfang der 80er Jahre zu den besseren in der arabischen Welt. Irakische Kinderärzte hatten einen herausragenden Ruf und die medizinischen Fakultäten von Mossul oder auch Bagdad waren im Mittleren Osten eine bekannte Größe. Von den Golfkriegen und den darauffolgenden Sanktionen konnte sich das Gesundheitssystem nicht erholen.

Nach 2003 verschlechterte sich die Gesundheitsversorgung. Vor allem auf dem Land mangelte es an Ärzten und Ausstattung. Der Bürgerkrieg und der Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat brachten in einigen Regionen die Gesundheitsversorgung zum Erliegen. Auch nach dem der IS aus den Städten verdrängt ist, stellt die Versorgung der IDP im Irak die größte Herausforderung dar. Ein Bericht der WHO vom November 2019 gibt einen guten Überblick über Probleme und   Lösungsansätze für eine bessere Versorgung.

Jüngste, zum Teil gewaltvolle Proteste in Basra und anderen Städten richteten sich auch gegen die schlechte Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung und forderten Dutzende Tote und zahlreiche Verletzte. Zunächst mangelte es dort an sauberem Wasser, dann an Strom und schließlich brach wegen des verschmutzten Wassers Cholera aus, so dass zwischen 14.000 und 17.500 Anwohner behandelt werden müssen. Dass gerade in der eigentlich reichen Öl-Stadt Basra

dieser Versorgungsengpass an allen Fronten eskaliert, ist für viele Analysten kein gutes Vorzeichen.

Der Bericht «Iraq’s Water Protests Have Left At Least 13 People Dead (HBO)» (Engl.; 6:48 min) gibt Stimmungen und Auswirkungen der Wasserproteste in Basra wieder.

Krisen und Zerstörung der letzten Jahrzehnte resultieren nicht nur in einer hohen Zahl von Binnenflüchtlingen. Knapp 9 Mio. Iraker benötigen Hilfe, auch gesundheitlich. Der Gesundheitssektor hat wie alle anderen Sektoren unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den  mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der VN und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden. So hat das UNHCR in seinen regelmäßigen Covid-19-Updates die medizinische Lage und die Nahrungssicherheit sowie besonders fragile Gruppen, allen voran die IDPs besonders im Blick.

Die psychologische Versorgung der IDPs und weiterer deprivierter Iraker kommt trotz zahlreicher internationaler Hilfs-Projekte meist zu kurz.

«Mental Healthcare in Iraq» (Arabisch mit Engl. Untertitel; 1:58 min) gibt einen Einblick in die psychosoziale Arbeit von Ärzte ohne Grenzen im Irak.

Wir hatten einst die GIZ angefragt, die Länderinformationen vom Länderportal für unsere touristischen Webseiten zu nutzen. Dazu sollten wir auf die Urheber hinweisen. Nesrine Shibib hat die Länderinformation zum Irak gestaltet. Die Inhalte wurden bis 2020 im Auftrag der GIZ gepflegt.